Das Kind, die Schere, das Blut – HURZ!
Papas große Reise nach Kanada steht kurz bevor. Die Sachen sind noch nicht gepackt, aber sobald die Kinder im Bett sind, wird er sich auch darum kümmern. Noch einmal kurz entspannen und dann wird er loslegen! Wie sehr man sich doch irren kann und stattdessen auf dem Rücken in der Notaufnahme landet. Und das alles, wegen eines Geburtstages. Doch was ist mit der Schere?
Triggerwarnung: Notaufnahme, Blut!
Es ist Donnerstagabend und ich habe mir genau ausgemalt, wie der Abend verlaufen soll. Ein typischer Anfängerfehler frischer Eltern, mag man meinen, aber auch mir, Vater von drei Kindern, passiert es noch mit stoischer Regelmäßigkeit. Manches ändert sich wohl nie.
Wir stehen gerade im Wohnzimmer, alle Kinder sind nebenan beschäftigt, da dringt plötzlich ein Schluchzen an mein Ohr. Es kommt aus dem Flur. Und es kommt näher. Ein kurzer Blick auf das nahende Kind zeigt: das ist keine Lappalie!
Die Schere war’s
Den einen Finger fest umklammert, tropft Blut zwischen den Fingern der anderen Hand hervor. Tränen laufen über das Gesicht und zwischen den einzelnen, tiefen Schluchzern dringt ein „Ich hab‘ mir doll in den Finger geschnitten!“ hervor.
Die Wunde scheint tief. Und blutet so stark, dass ich sofort versuche, aus dem Verbandskasten eine Kompresse zu holen. Was ich finde ist ein eingeschweißtes Dreieckstuch. Den Rest haben vermutlich die Kinder zum Spielen entwendet. Egal, steril ist es und man kann es auf eine Wunde drücken.
Während meine Frau, die Ruhe höchstpersönlich, über der Spüle einen Blick auf die Wunde wirft, gehe ich im Kopf schon alle möglichen Szenarien durch, greife intuitiv zum Autoschlüssel und stammle etwas von „Notaufnahme“, „Schlimmeres verhindern“ und einem gereizten „Natürlich kriege ich das hin!“.
Dass meine Frau skeptisch und das Kind ängstlich guckt, versuche ich in dem Augenblick zu ignorieren. Und mahne mich zur Ruhe, was mir zum Glück auch langsam gelingt.
Ab in die Notaufnahme…
Das Krankenhaus ist dankenswerterweise nur wenige Autominuten von uns entfernt. Es ist zwar kein Kinderkrankenhaus, aber einen Schnitt in den Finger werden sie ja wohl schon einmal gesehen und vielleicht sogar behandelt haben. Egal wie lang der Finger (noch) ist…
Bei der Anmeldung treffen wir auf zwei wunderbar einfühlsame Krankenschwestern. Sie lenken mein Kind ab, legen einen frischen Verband an und fragen, was überhaupt passiert sei. Also erzählt mein Kind. Wie es Einladungskarten für den Geburtstag basteln wollte. Aus Vlies. Und mit der großen Schere aus der Küche. Doch dann ist die Schere abgerutscht. Einmal über den Finger. Und nun sitzen wir hier.
Nach der Anmeldung heißt es warten. Die Notaufnahme ist recht voll, ungewöhnlich voll für einen Donnerstagabend. Laut meiner Erfahrung… Egal…
Reden wir über die Schere
Da sitzen wir nun also und reden. Machen wir sowieso viel zu selten. Also nutzen wir die Zeit. Reden über dies und das. Scheren zum Beispiel. Und wieso es extra Scheren für Kinder gibt. Nicht, dass eine kleinere Schere wirklich weniger Schmerzen verursacht hätte, aber ich kann nicht aus meiner Haut raus…
Nach ca. 1,5 Stunden können wir ins Untersuchungszimmer. Wir beide sind müde und etwas hungrig. Der Arzt, hoffentlich nicht auch so müde, beginnt vorsichtig den Verband zu entfernen. Mein Kind sitzt ängstlich auf meinem Schoß, ich halte die unversehrte Hand. Blut schießt wieder aus der Wunde hervor. Das Kind hat Schmerzen. Und der Arzt versucht herauszufinden, wie tief der Schnitt ist. Dabei erklärt er mir, dass es nicht so tief aussieht, keine wichtigen Sehnen, Nerven, Wasauchimmer verletzt sind. Und drückt weiter auf dem Finger herum, redet, als wäre ich sein Medizinstudent. Und ich schaue hin, um zu verstehen. Ein Fehler, wie sich dann herausstellte.
„Papa, du bist ganz blass!“
Mir beginnt warm zu werden. Der Kopf fühlt sich etwas komisch an. Und mir tritt Schweiß aus – auf der Stirn, am Rücken, an den Händen. Große Perlen sammeln sich dort, bereit, für eine bessere Welt zu kämpfen. Sie halten Schilder hoch, rufen…
Nein, der Arzt redet. Er wird gleich zurück sein, sagt er. Und geht. Die Schweißperlen bleiben. Demonstrieren weiter. Fordern den Rest des Körpers auf, mitzukämpfen. Nur gemeinsam könne man es schaffen. Doch der ist müde. Wird immer schwerer. Der Kopf scheint plötzlich alle Last der Welt zu tragen.
Mein Kind dreht sich zu mir um und sagt, dass ich ganz blass aussehe. „Ich fühle mich auch gerade nicht besonders gut.“, erwidere ich. Dabei versuche ich unauffällig, dass nasse Shirt auszuwringen. Doch der Schweiß ist hartnäckig. Als eine Krankenschwester, ich denke jedenfalls, dass es eine war, durch das Zimmer geht und mein Kind fragt, wie es ihm gehe, gelingt es mir zu sagen, dass es dem Papa gerade nicht sonderlich gut geht.
Papa braucht ’ne Ausz… zZzZz
Ich spüre noch Hände unter den Armen, werde mehr hochgezogen als dass ich aufstehe. Von irgendwoher rollte eine Liege an, die Schwester gibt Anweisungen. Ob mir, dem Kind oder jemand anderem kann ich nicht sagen. Vermutlich von allem ein bisschen.
Als der Kopf wieder klarer wird, befinde ich mich auf der Liege, die Beine deutlich erhöht. Mein Kind steht nicht weit von mir und ist verunsichert. Ich habe Schuldgefühle. Unglaubliche Schuldgefühle. Ich muss für die Kinder da sein, nicht umgekehrt. Noch nicht!
Ich stammle etwas von „Es geht mir besser!“ und „Mach dir bitte keine Sorgen, es ist alles okay!“. Aber ich soll liegen bleiben. Und denke, dass das auch ganz gut ist.
Irgendwann kommt der Arzt zurück, etwas irritiert, wieso ich es mir einfach auf der Liege bequem mache, und meint, dass die Blutung nicht von alleine aufhört. Es muss genäht werden. Ich sehe Tränen auf der Wange des Kindes und bin wieder voll da. Wir tauschen Plätze, ich halte erneut die Hand meines Kindes. Es gibt eine örtliche Betäubung, die tut weh. Danach wird es lustig. Und es kitzelt.
Wir lernen sogar noch etwas
Die Wunde ist schnell verschlossen und der Arzt wendet sich seinem Bericht zu. Dem Kind geht es deutlich besser. Papa auch! Ein Krankenpfleger (keine Ahnung, ob das der korrekte Fachbegriff ist) mit Vollbart, großen Ohrlöchern und vielen Tattoos, kümmert sich ab jetzt um den neuen Verband. Und gibt uns(!) reichlich Bonbons.
Plötzlich kehrt die Neugier zurück, dieser unbändige Wissensdurst von Kindern. „Was ist mit dir passiert, Papa?“, fragt das Kind ausgerechnet mich. Aber wir sitzen an der Quelle. Also ermuntere ich das Kind, die Frage doch dem Mann zu stellen, der offensichtlich Ahnung hat.
Und er antwortet. Ausführlich. Liebe- und verständnisvoll. Redet von Eltern, ihren Sorgen, wenn den Kindern was passiert. Von zu wenig Essen und Trinken, Stress und großer Anspannung. Und davon, was passiert, wenn dem Körper alles zu viel wird. Unwohlsein, Schweißausbruch, von weit geöffneten Blutbahnen, die das gesamte Blut plötzlich nach unten schießen lassen.
Eine Bilderbuchlehrstunde, nicht nur für das Kind. Dieses hört aufmerksam zu, während der Verband schrittweise angelegt wird.
Was bleibt ist eine unterhaltsame Geschichte…
Anschließend fahren wir nach Hause. Bleibende Schäden sind nicht zu erwarten, vielleicht eine Narbe. Das Kind umarmt Mama und Mama das Kind. Stolz zeigt es den Verband. Ich räume die Schere vom Fußboden weg und beseitige noch ein paar Blutstropfen.
Am nächsten Tag geht es zur Kinderärztin, die den Verband wechselt und die Wunde kontrolliert. Und die zeigt dabei auf den Mittelfinger ihrer rechten Hand. Ein großes Pflaster verdeckt einen tiefen Schnitt. „Aber es war keine Schere,“ sagt sie augenzwinkernd, „sondern ein ganz scharfes Küchenmesser…“
In der Tat eine unterhaltsame Geschichte, an die ihr euch noch lange erinnern werdet, zum Glück mit Happy End! 🙂
LG, Richard & Hugo vom https://www.vatersohn.blog
Hallo Richard,
ja, im Nachhinein können wir das auch mit Humor nehmen. Hilft sowieso bei so vielem 😉
Und sobald nun irgendeine Situation mit Krankheiten oder Verletzungen aufkommt, bin ich fein raus. 😀
Liebe Grüße
Martin
Cooler Arzt oder Krankenpfleger oder wie auch immer die richtige Bezeichnung ist … Gut, dass er alles ausführlich erklärt hat. Schön!
Habe damals bei f gesehn dass du zu H nach Kanada bist. Würde ich ja auch gerne Mal hin…
Schöne Grüße, Sandra
Ja, war letztes Jahr dort. Wo genau hast du es denn gesehen
Bei Instagram findest du in den Storys mehr Bilder aus Kanada/USA. 😉
Btw. kannst du mich gerne auch mal per Mail kontaktieren und mir deine Nummer schicken. Dann können wir auch so schreiben.
Habt noch einen schönen Sonntag!
🙂
Ich hatte das Problem auch schon beim Blutabnehmen der 2 Jährigen. Es gibt jetzt einen Patientenvermerk das bei sowas bitte die Mama mitkommen soll. Ein wenig peinlich 🙁
Hallo G-Bär,
spannend, dass sowas zusätzlich vermerkt wird. Aber durchaus sinnvoll!
Peinlich war es mir tatsächlich nicht, ich kann sehr darüber lachen ^^
Aber es war in dem Moment einfach echt doof… :/
Liebe Grüße
Martin