Papa-Kind-Hobby – Gemeinsam Capoeira lernen
Mein Kind und ich sitzen in der S-Bahn, während es lauthals Lieder auf Portugiesisch vor sich hin trällert. Oder es zählt laut bis 10 – mal vor- und mal rückwärts. Ebenfalls auf Portugiesisch. Der Grund dafür ist recht simpel – wir lernen gemeinsam Capoeira. Und da ich vor kurzem schon einmal über ein eher seltenes Eltern-Kind-Hobby, das Klettern, geschrieben habe, werde ich das hier gleich noch einmal tun.
Was ist Capoeira?
„Bitte, was macht ihr?“ oder „Kenn‘ ich nicht!“ sind so typische Antworten, wenn mein Kind und ich darüber sprechen, was wir für einen Sport betreiben. Wir betreiben Capoeira. Und es ist toll! Doch was hat es damit auf sich?
Capoeira ist eine Kampkunst, die ihren Ursprung in Brasilien hat. Dort ist sie quasi neben Fußball ein Nationalsport und ich habe oft von Kindern gehört, die dort Capoeira von ganz klein auf an lernen.
Ein großer Unterschied von Capoeira zu anderen Sportarten wie Judo oder Karate ist jedenfalls, dass die Bewegungen sehr tänzerisch aussehen. Es passiert sehr viel aus einer tänzelnden Grundbewegung, der Ginga, heraus. Dazu gibt es Radschlagen, Brücke, Kopfstand, Flick-Flacks, Salti und viele hohe Tritte. Alles sehr akrobatisch. Und berührungslos! Aufgrund dieser Bewegungsabläufe wird Capoeira jedenfalls häufig als Kampftanz bezeichnet. Doch eigentlich kämpft man nicht, man spielt Capoeira.
Die von uns betrieben Variante ist übrigens die Capoeira Angola, die als ursprüngliche Version von Capoeira gilt und weitestgehend berührungslos abläuft. Alternativ dazu gibt es auch die etwas modernere Form, Capoeira Regional.
Neben dem Spiel ist aber auch die Musik wichtig. Befinden sich zwei Spieler in der Roda, ein Kreis gebildet aus anderen Capoeiristas, wird durch die Umstehenden Musik gemacht und gesungen. Der Gesang ist typischerweise auf Portugiesisch, womit sich der Kreis zum singenden Kind wieder schließt.
Wie kam es dazu?
Gut, dass ihr fragt, ist eine witzige Geschichte! Tatsächlich fing für mich alles 1998 mit einem Spiel für die PlayStation an: Tekken 3. Okay, ich kürze mal ab. In diesem Spiel beherrschte eine der Figuren – Eddy Gordo – Capoeira. Und ich war beeindruckt. Damals war der Sport in Deutschland noch sehr unbekannt und ich musste ein paar Jahre warten, bevor ich bei mir in der Nähe mit dem Training beginnen konnte.
Doch leider ging der Ernst des Lebens weiter, das Studium begann und ich hörte mit Capoeira auf. Dann kam irgendwann der Umzug nach Berlin, Abschlussarbeiten, Kinder kamen auf die Welt, viele Kinder…
So hat es weit über 10 Jahre gedauert, bis ich wieder mit dem Training begann. Leider komplett bei Null. Weil es sich aber ergeben hat, waren meine Kinder hin und wieder dabei und ich zeigte ihnen den Grundschritt und erste Tritte. Und sie machten begeistert mit.
Kurz darauf konnte meine Frau – einen ganz lieben Dank dafür 😉 – einen Sportverein in Berlin ausmachen, der einen Kurs für Eltern-Kind-Capoeira anbietet. Zwar nicht wirklich in der Nähe, aber das wollten wir ausprobieren. Also angemeldet, Sportsachen eingepackt und los…
Eine typische Eltern-Kind-Trainingsstunde
Nun habe ich viel erklärt, aber wie läuft so ein Training eigentlich ab? Wie bei vielen Sportarten steht auch hier zu Beginn eine längere Aufwärmphase an. Insbesondere für mich, der den ganzen Tag aufpasst, dass sich der Schreibtisch nicht bewegt, besteht sonst durchaus eine Verletzungsgefahr. Es werden also Dehnübungen gemacht, gehüpft, gelaufen, mal Hase-und-Jäger gespielt und so weiter… Bei manchen Übungen wird auch mitgezählt, so dass wir zumindest das auf Portugiesisch gut beherrschen.
Eltern und Kinder trainieren dabei übrigens gemeinsam. Und ab und zu sieht das bei den Kindern deutlich souveräner aus, als bei den Eltern 😉
Anschließend werden die verschiedenen Bewegungen geübt. Ein oder zwei Kinder machen die Übungen dann vor und der Rest macht nach. Meist mit einzelnen Tritten und Ausweichübungen beginnend, kommen später Radschläge (port.: „Au“) oder auch kombinierte Bewegungen hinzu.
Während bis hierhin jeder für sich trainiert hat, werden dann im nächsten Schritt mit Partnern die gelernten Übungen angewandt. Mein Kind sucht sich in der Regel mich als Partner aus, allerdings achten die Trainer darauf, dass häufiger auch mal gewechselt wird.
Zu guter Letzt wird eine Roda veranstaltet. Während die Umstehenden die Musik machen, können die Capoeiristas, sofern sie denn möchten, in der Roda mit anderen Capoeiristas spielen. Jedoch immer nur zwei zeitgleich. Überrascht stellte ich fest, dass die Kinder, sofern sie bereits ein paar Mal beim Training waren, absolut keine Berührungsängste haben und auch ungehemmt Erwachsene auffordern. Auch mein Kind, das sich die ersten Wochen bei der Roda nicht von meiner Seite wich, ist da nun deutlich lockerer und sucht sich seine Spielpartner selbstständig aus.
Ganz zum Schluss kommt dann die gemeinsame Verabschiedung. Dazu wird ein Lied gesungen und alle halten die Hand auf eine der Trommeln. Ein tolles Gemeinschaftsgefühl.
Ist Capoeira etwas für Kinder?
Wie so oft kann man diese Frage nicht pauschal beantworten. Daher gebe ich zwei Antworten. Die erste lautet:
Ja, natürlich! Capoeira ist ein Sport, den Kinder in Brasilien von klein auf an lernen. Natürlich werden sie in den ersten Jahren nicht unbedingt Überschläge und ähnliches lernen. Doch spielerisch kann man sie an Grundlagen heranführen und mit ihnen singen und Musik machen. Die kleinsten Kinder, die ich beim Training beobachten konnte, waren etwa 4 Jahre alt.
Und hier die Antwort Nummer 2: nein, nicht unbedingt. Mit Capoeira verhält es sich wie mit jeder anderen Freizeitaktivität, die man Kindern anbieten kann – entweder die Kinder mögen es oder eben auch nicht. Ist ein Kind also den ganzen Tag am Rumhüpfen, Kopfstand oder Radschlag üben, dann kann Capoeira durchaus der richtige Sport sein. Vielleicht wäre aber auch eher Turnen oder ein ganz anderes Hobby passender. Ich habe jedenfalls mehrere Eltern mit Kindern kommen und wieder gehen sehen. Letztendlich sollte das Kind entscheiden, ob es Spaß hat. Aber anbieten kann man es ja mal…
Warum soll man Capoeira lernen?
Die Antwort auf diese provokante Frage ist: man soll gar nicht. Aber man kann. Hier drei Gründe, wieso ich es empfehle:
Der erste und wichtigste Grund ist, es macht einfach Spaß! Ich habe Spaß an den Übungen, mein Kind liebt das Spiel mit mir. Dazu das gemeinschaftliche Singen und Musizieren… Es ist einfach eine angenehme Atmosphäre. Einen Versuch ist es allemal wert.
Und der zweite Grund: es tut gut. Ich habe mit mehreren Physio- und Ergotherapeuten sprechen können und alle sagten mir, dass Capoeira quasi alle Körperregionen und Muskeln anspricht und auch die Koordination trainiert wird. Es kann unglaublich schweißtreibend sein, aber man weiß hinterher definitiv, was man getan hat.
Und last but not least, man nimmt auch etwas für das Leben mit. Das Reaktionsvermögen wird gestärkt und man muss zwangsweise improvisieren. Man erhält auf spielerische Art und Weise Zugang zu einer anderen Sprache. Respektvoller Umgang sowie Toleranz sind wichtige Regeln beim Capoeira. Und und und…
Fazit
Anfangs war ich skeptisch, wie gut der Sport mit Kindern funktioniert. Doch mein Kind hat viel Spaß daran und besteht förmlich auf die gemeinsame Zeit und ich schaffe es ernsthaft zu trainieren. Natürlich ist die eine Stunde pro Woche arg wenig, aber man nimmt, was man kriegen kann.
Und als besonderes Highlight haben wir uns gemeinsam vor Kurzem für eine Gürtelprüfung angemeldet und erfolgreich den ersten Gürtel bekommen. Yeah!
Hallo,
Ich bin auch gerade auf der Suche nach einem Eltern-Kind-Capoeira-Kurs. Welcher Verein bietet das an und ab wieviel Jahren ?
Schöne Grüße
Lena
Hallo Lena,
falls du aus Berlin bist, kann ich die Capoeira Akademie an der Hasenheide empfehlen. Dort trainieren manche Kinder schon ab 3 Jahren mit. Natürlich alles entspannt und ohne Druck, damit die Kleinen auch Spaß haben.
Liebe Grüße
Martin
Okay, danke! Dann kommen wir vielleicht in einem Jahr mal vorbei 🙂