
Im Spiegel sehe ich keinen Superhelden
Wer bin ich eigentlich? Natürlich bin ich ich. Martin. Oder auch PapaJahre. Und auch Vater, Ehemann, Sohn, Bruder, Arbeitnehmer, Freund, Blogger… Vielleicht noch das eine oder andere, das ich hier nicht aufführe. Das sind Fakten. Darüber brauchen wir nicht diskutieren.
Aber wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich darüber hinaus einen gestressten Menschen. Mit langsam ergrauenden Schläfen und müden Augen. Die Schultern hängen. Einen Menschen, der zur Zeit nicht oft lächelt. Sich überfordert fühlt. Ängste hat. Große Ängste! Dessen fröhliches Pfeifen nur noch selten zu hören ist. Jemanden, der zu wenig für die Kinder da ist. Mit seinen eigenen Sorgen und Problemen viel zu sehr beschäftigt ist. Der den Kindern deshalb nicht ausreichend zuhört. Schnell genervt ist. Und froh, wenn sie abends im Bett liegen.
Ich mag diesen Menschen im Spiegel nicht. Das gebe ich ehrlich zu. Und er mich auch nicht. Da sind wir uns einig.

Und dann stehen Menschen neben mir, die sehen in mir etwas völlig anderes. Menschen aus meiner Familie, meinem näheren Umfeld, Kollegen und teilweise auch fremde Menschen. Sie sehen auch Martin, aber einen anderen Martin. Ja, die Frisur ist gleich, leicht grau an den Schläfen. Der müde Blick bleibt. Und auch der Traurige. Aber sie sehen noch mehr. Finden so viele Worte, die mir nicht einfallen. Sie sehen einen hilfsbereiten Menschen. Bezeichnen mich als guten Freund, liebevollen und wundervollen Vater, tollen Ehemann. „Du bist der beste Papa der Welt“ kam von meinem Kind. Und jemand nahezu Fremdes nannte mich kürzlich quasi einen Superhelden.
Und ich frage mich: wo schauen die denn nur hin? Ist es möglich, dass ein und dieselbe Person so unterschiedlich wahrgenommen wird? Dass andere die Realität nicht erkennen? Und mich so falsch einschätzen? Neige ich gar zur übertriebenen Selbstdarstellung, sodass dieses Bild entsteht?
Doch die Vernunft in meinem Kopf ermahnt mich und fragt: wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich viele Menschen irren, aber genau einer Recht hat? Klar stecke ich in mir drin, weiß, was in meinem Kopf so vorgeht, aber ich tendiere tatsächlich dazu, mich klein zu machen. Das höre ich häufig.
Und schaue ich in unseren Alltag, sehe ich auch, dass das Familienleben nicht gerade einfach ist. Wir beide haben umfangreiche Jobs, kümmern uns um den Haushalt und versuchen, die Wünsche der Kinder zu erfüllen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Soweit es im Rahmen des Möglichen ist, versteht sich. Dazu dann Außerplanmäßiges, was Zeit frist. Und kaum Platz für eigene Aktivitäten und Freunde lässt.
Macht mich das jetzt zu einem Superhelden? Nein, ich denke nicht. Und wenn doch, dann kenne ich sehr viele Superhelden da draußen. Eltern, die nach der Arbeit gestresst zur Kita hetzen, damit sie hinterher noch schnell fürs Abendessen einkaufen können. Mit dem Kind am Abend noch etwas für die Schule basteln, obwohl die Steuererklärung nach Aufmerksamkeit schreit. Und am Wochenende im Regen am Spielfeldrand Tür und Tor für die nächste Grippe öffnen, damit das Kind seiner Leidenschaft nachgehen kann.
Ja, wenn man es so betrachtet, dann sind da eine Menge Superhelden. Und Superheldinnen! Sie alle eint, dass sie sich für die Familie aufopfern, auch wenn es an die Substanz geht. Und dummerweise sehen sie selbst sich nicht so. Den großartigen Menschen. Der natürlich auch erschöpft sein darf, sich hilflos und überfordert fühlen darf. Der Ängste hat. Und Selbstzweifel.
Lasst euch gesagt sein: ihr seid toll! Und ja, es ist anstrengend, das ist normal! Aber das macht euch nicht zu schlechten Menschen oder gar Eltern…
Ich für meinen Teil werde versuchen zu akzeptieren, dass ich nicht perfekt sein kann und muss. Dass es okay ist, auch mal durchzuhängen und Ängste zu haben. Genervt zu sein, wenn die Kinder gerade das Kinderzimmer zerlegen. Oder das Wohnzimmer. Dann sehe ich mich vielleicht nicht als Superhelden, aber als einen normalen Menschen. Mit Gefühlen und Bedürfnissen. Und nicht als schlechten Vater.
Was ich auf jeden Fall tun sollte, ist diesen Spiegel zu meiden. Er scheint kaputt zu sein. Statt „Nerhegeb“ haben wir seinen bösen Stiefbruder „Lefiewz“ erwischt. Ich werde ihn jetzt mal abhängen gehen. Das solltet ihr auch tun…