Das Nestmodell: wenn beide Eltern plötzlich ausziehen
Wenn ich erzähle, wie unsere neue Lebenssituation ist, dann werde ich oftmals erstaunt angeschaut. Einige wenige haben bereits davon gehört und nur vereinzelt erfahre ich, dass wer jemanden kennt, der das auch so macht. Denn im Gegensatz zum Wechsel- und Residenzmodell ist das Nestmodell bislang kaum verbreitet. Und es ist finanziell auch nicht einfach umsetzbar. Dennoch hat es einige Vorteile. Ich möchte heute ein wenig darüber schreiben, was genau sich dahinter verbirgt und was die Vor- und Nachteile sind.
Wenn Eltern sich dazu entscheiden, in Zukunft getrennte Wege zu gehen, dann ist das sicher kein leichter Schritt. Und auch nicht der letzte gemeinsame, denn in der Regel möchten sich beide weiterhin um die Kinder kümmern, sie regelmäßig sehen und das Großwerden begleiten. Dass die Eltern ab sofort getrennt leben, steht dabei meist außer Frage. Aber was ist mit den Kindern? Wo und bei wem werden sie leben?
Wechselmodell und Residenzmodell
Die bekanntesten Formen und Optionen bei dieser Frage sind das Wechselmodell und das Residenzmodell. In beiden Fällen haben die Eltern getrennte Lebensräume, mitunter sogar in unterschiedlichen Städten.
Beim Wechselmodell wird sich meist darauf geeignigt, dass das Kind bzw. die Kinder abwechselnd ein paar Tage bei dem einen und anschließend bei dem anderen Elternteil verbringen. Ein typischer Rhythmus ist dabei, dass nach jeweils einer Woche der Wechsel erfolgt. Sind die Zeiträume gleichverteilt, so spricht man vom paritätischen Wechselmodell.
Damit einher geht, dass die Kinder bei beiden Elternteilen Spielsachen, Kleidung, ein Bett und ähnliches haben. Vieles wird also doppelt und dreifach angeschafft, um es nicht immer wieder hin und her transportieren zu müssen. Spoiler: irgendwas fehlt trotzdem immer wieder… 🤷♂️
Wird jedoch das Residenzmodell gewählt, so verbringen die Kinder den überwiegenden Teil der Zeit bei nur einem Elternteil. Der andere Elternteil übernimmt die Kinder dann je nach Absprache in regelmäßigen Abständen für einen kurzen Zeitraum. Dies kann z.B. jedes zweite Wochenende sein.
Über die Vor- und Nachteile oder auch Chancen und Probleme möchte ich an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingehen.
Wie funktioniert das Nestmodell?
Stattdessen möchte ich euch hier die dritte Alternative vorstellen: das Nestmodell!
Anders als bei den zuvor genannten Modellen ziehen hier beide Elternteile aus der gemeinsamen Wohnung aus und die Kinder bleiben. Ja, richtig gelesen: die Kinder bleiben in der Wohnung, dem Nest, die Eltern ziehen jedoch aus.
Gut, bevor hier nun gleich das Jugendamt verständigt wird, löse ich mal auf… 😅
Beim Nestmodell ziehen die beiden Elternteile nicht wirklich aus der gemeinsamen Wohnung aus. Stattdessen wechseln sie statt der Kinder regelmäßig den Wohnort und leben abwechselnd mit den Kinder in ihrem vertrauten Umfeld, der bisherigen Wohnung. Ähnlich wie beim Wechselmodell kann der Tausch wöchentlich erfolgen, so dass z.B. immer sonntags gewechselt wird. Wenn also ein Elternteil kommt, werden Kinder, Wohnung und ggf. Haustiere übergeben, das Bett abgezogen, die wichtigsten Dinge noch besprochen und dann ist es für den zuvor betreuenden Elternteil Zeit sich zu verabschieden.
Aber… warum???
Diese Frage stellt ihr euch vielleicht gerade. Ich werde versuchen unsere Beweggründe zu erklären.
An erster Stelle war uns, wie vermutlich auch allen anderen betroffenen Eltern, wichtig, dass es den Kindern trotz der Trennung so gut wie möglich geht. Dazu gehört natürlich auch, dass wir ihnen eine gewisse Sicherheit bieten wollten. Die altbekannte Wohnung, der gleiche Schulweg, Freunde in der Nähe – kurz: so wenig Umstellung wie möglich. Es ändert sich jetzt sowieso sehr vieles, wieso nicht versuchen die Kinder so weit es geht, davon auszunehmen?
Eine Hoffnung, die wir dabei hatten, war, dass wir ihnen zeitgleich die Verantwortung nehmen, an alles denken zu müssen. Gerade beim Wechselmodell ändern sie regelmäßig und vermutlich für mehrere Tage ihren Lebensmittelpunkt. Das bedeutet, sie müssen schon im Voraus bedenken, was sie in den nächsten Tagen brauchen oder haben wollen: ein Spielzeug, Buch, Kuscheltier oder die Schulsachen. Also alles, was gerade aktuell und in der anderen Wohnung nicht auch vorhanden ist.
Stattdessen, so unsere Hoffnung, sind wir diejenigen, denen ein gewisser Weitblick möglich sein sollte. Und die flexibel genug sind, auch mal ein paar Tage auf die Abendlektüre zu verzichten, sollten wir diese doch mal vergessen haben. Ob mir das gelingt? 😅
Aus dem Nestmodell in … ja, wohin gehe ich eigentlich?
Damit kommen wir auch zur vermutlich größten Hürde beim Nestmodell: wo werde ich denn meine Abendlektüre regelmäßig liegenlassen? Beim Nestmodell braucht jeder Elternteil einen eigenen Rückzugsort, also eine Wohnung, WG oder gar ein Haus. Bei zwei Elternteilen macht das also in Summe 3 (!) Wohnräume, die bezahlt werden müssen. Ufff! 🙈
Gerade in Zeiten knappen Wohnraums ist bezahlbarer Wohnraum fast so unwahrscheinlich wie ein größerer Lottogewinn. Wenn dann auch noch die Gas- und Energiekosten sprunghaft ansteigen, ist dieses Modell für viele Menschen keine stemmbare Option mehr.
Doch wenn es gelingt, dann hat jeder Elternteil eine Wohnung außerhalb des Nestes.
Und das soll gut gehen?
Ich denke, jedes der genannten Modelle, und es gibt sicherlich noch einige andere, hat seine Vor- und Nachteile. Und was immens wichtig ist, ist eine Kommunikation auf Augenhöhe sowie Regeln, an die sich beide Elternteile halten sollten.
So sollte es nicht sein, dass ein Elternteil ständig eine unaufgeräumte Wohnung oder einen leeren Kühlschrank hinterlässt. Sich darauf zu einigen, dass gewisse Lebensmittel immer vorrätig sein sollten, kann Konflikte verhindern.
Auch die finanziellen Fragen sollten dringen und so früh wie möglich geklärt werden: wie wird die Miete für das Nest gezahlt, wie die Lebensmittel und wie die Kleidung? Hier kann beispielsweise ein gemeinsames Haushaltskonto hilfreich sein, auf das beide Elternteile einzahlen und von dem Miete und Nebenkosten abgehen sowie wichtige Dinge für die Kinder gezahlt werden können.
Und im Vergleich zum Wechsel- oder Residenzmodell wohnt man irgendwie doch noch zusammen, was auch bedeutet, dass Entscheidungen über die Wohnung gemeinsam getroffen werden müssen. Sei es nur der Kauf einer neuen Küchenwaage oder doch gleich eine kostenintensive Waschmaschine. Oder gar eine neue Küche? Hier kann im Vergleich zu den anderen Modellen ein deutlich höheres Konfliktpotential aufwarten.
Bei vielen der Punkte hilft es aber, über die eigenen Vorstellungen zu reden. Nicht immer ist sofort ein Konsens gefunden. Auch Ängste und Sorgen anzusprechen kann idealerweise helfen, Kompromisse zu finden.
Das Wichtigste sollte sowieso sein, das Wohlergehen der Kinder im Auge zu haben. Das klappt i.d.R. dann am Besten, wenn beide Elternteile an einem Strang ziehen. Je nach Vorgeschichte gibt es aber natürlich Ausnahmen oder berechtigte Gründe, die gegen ein solches Modell sprechen.
Sollte es nicht klappen, sich auf verschiedene Punkte zu einigen, kann unter Umständen die Inanspruchnahme einer Beratungsstelle o.ä. helfen.
Das Nestmodell mit nur 2 Wohnungen
Eine Sonderform, die für manche Eltern eventuell noch in Frage kommt, ist die geteilte zusätzliche Wohnung. Statt dass also jeder Elternteil sich eine neue Bleibe sucht, kann dies auch gemeinsam gemacht werden. Und wie in einer WG teilt man sich dann Flur, Küche und Bad. Nur sieht man sich nie. Solche Leute gab es im Studium ja auch immer mal…
Dass diese Variante nicht für alle ehemaligen Paare eine wirklich umsetzbare Option ist, ist sicherlich verständlich. Doch wenn es klappt, reduzieren sich Miete und Co deutlich. Und sind wir mal ehrlich: im Nest machen sie es doch auch so, oder? 😉
Eine weitere individuelle Anpassung besteht auch in der Festlegung der Zeiträume. Es muss ja nicht zwangsweise immer ein Wechsel nach 7 Tagen sein. Sicherlich möchten beide Elternteile nicht so lange von den Kindern getrennt sein. Auch da heißt es: miteinander reden und Kompromisse finden.
Ist das nun das Modell der Zukunft?
Nein, sicher nicht. Und das wollte ich mit meinem Text auch gar nicht ausdrücken.
Je nach Konstellation sollte ein Modell gewählt werden, das am Besten zu den Umständen passt. Dazu gehören natürlich auch die Kinder, aber genauso auch die individuellen Umstände der Eltern und auch das Verhältnis der Eltern zueinander. Manche brauchen mehr Abstand, manche können in guter Freundschaft auseinandergehen.
Doch wie auch immer die Umstände sind, haltet die Kinder aus den Konflikten raus und macht sie nicht zum Sündenbock. Sie können nichts für die Trennung, die für sie schon schwer genug ist, sie sollten nicht auch noch darüber hinaus die Leidtragenden sein.
Zeigt ihnen, dass ihr weiterhin für sie da seid, ihr sie weiterhin liebt und sie trotz der Trennung gemeinsam und unabhängig vom gewählten Modell erzieht. Zieht an einem Strang, sie werden es euch danken!
Und egal für welches Modell ihr euch am Ende entscheidet, ich wünsche euch, dass es gelingt! Der Weg wird sicher nicht immer einfach sein, aber die Anstrengungen werden sich lohnen.
Alles Gute!
Martin
Wer weiterführende Informationen rund um das Thema „getrennte Erziehung“ benötigt, kann sich u.a. auf der Seite des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend belesen. Eine sehr umfangreiche Lektüre findet ihr hier: „Gemeinsam getrennt erziehen“.
Tatsächlich kenne ich gleich zwei Familien in meinem Umfeld persönlich, die das Nestmodell umsetzen – einmal mit jeweils zwei eigenen Wohnungen (und bereits neuen Partnern) und einmal mit der einen zusätzlichen Wechselwohnung, was ich emotional wirklich herausfordernd finde. Wenn das Gespräch darauf kommt, ist die Variante tatsächlich bereits meistens bekannt … ich glaube, es werden mehr, die diese Variante für den besten Weg halten.
Hallo Amberlight,
ja, ich habe auch bereits Gespräche mit Menschen geführt, die das Modell auch kannten. Selbst umgesetzt hatte es jedoch noch niemand.
Aber der größte Teil wusste bis dato noch nichts von diesem Modell. Sie finden es aber meist sehr interessant und freuen sich, wie dabei auf die Kinder rücksicht genommen wird, sofern es denn möglich ist, dieses Modell umzusetzen. Der fehlende Wohnraum und auch die zusätzlichen Kosten erschweren natürlich diese Form der gemeinsamen Erziehung. Wenn es doch klappt, ist es natürlich toll!
Liebe Grüße